Melancholie an «Heiligmorgen»: Toulouse dicht
Stolberg. Wenn am Morgen des Heiligabend sich wieder Generationen von
Schülern vor und im «Café Toulouse» an der Jordanstraße treffen, wird eine
gehörige Portion mehr Melancholie und Wehmut mitschwingen als sie
üblicherweise bei den Erinnerungen an alte Zeiten gepflegt wird.
Es ist das letzte Mal, dass «Heiligmorgen» in der Stolberger Schülerkneipe
gefeiert wird.
Haben die letzte Gäste das Lokal verlassen, schließt Bernd «Nubbel» Wetten
die Traditionskneipe mit 37-jähriger Geschichte.
Die Tränen stehen in den Augen bei dem Gedanken, dass das «Toulouse» nicht
mehr sein soll: Wirt Bernd Wetten, besser bekannt als «Nubbel», Gründer Said
Quahab, der seit der Eröffnung 1965 nicht aus dem Café weg zu denken ist,
und auch Elisabeth Gülpen, die bereits in den Anfangsjahren zur Stamm-Crew
der legendären Schüler-Kneipe stieß, können es nicht fassen, dass dieses
Stück Stolberger Geschichte der Vergangenheit angehören soll.
«Es lohnt sich einfach nicht mehr», kann «Nubbel» nur mit den Schultern
zucken. «Die Zeiten sind einfach schlechter geworden. Das Stammpotenzial
Gäste, von dem das «Toulouse» seit Jahrzehnten gelebt hat, bleibt aus: die
Schüler.
Vor allem die Pennäler der beiden Gymnasien kamen zunächst zwischen ihren
Freistunden, nach Schulende und einst an den Samstagen, als noch bis Mittag
Unterricht war. Sie verbrachten ihre Freizeit in der Kneipe und trafen sich
abends zu weiteren Unternehmungen.
Aus den langen Jahren Episoden zu erzählen, würde Bücher füllen. Im
«Toulouse» wurden die ersten Bande geknüpft, die in den Hafen der Ehe
führten. Hier wurden aber auch die Grundlagen für spätere Scheidungen
gelegt.
Generationen von Schülern verbrachten ihre Freistunden oder nahmen sich hier
frei von ihren Stunden. Mancher steuerte das Toulouse an anstelle in den
Schulgottesdienst zu gehen. Fußballspiele wurden hier verfolgt und Karneval
heftig gefeiert.
Und lange Jahre war es Tradition, dass Aschermittwoch geschlossen blieb,
weil renoviert werden musste. Zur Tradition gehört auch «Heiligmorgen», wenn
sich die Schüler und die Ehemaligen hier treffen, die sich oft das ganze
Jahr nicht gesehen haben...
Selbst in älteren Jahren zu Zeiten von Studium, Ausbildung und Beruf blieb
das kleine Bistro an der Jordanstraße die Anlaufstelle. Blieb, denn auch
diese Entwicklung gehört immer mehr der Vergangenheit an.
«Die Jugendlichen haben wohl kein Geld mehr übrig für den Besuch ihrer
Schülerkneipe», meint «Nubbel». Für Handy, Computer und Auto wird das
Taschengeld ausgegeben. Unter dem Strich blieb Bernd Wetten immer weniger,
um die Kosten auffangen zu können. Inzwischen ist er an dem Punkt angelangt,
an dem er es nicht mehr kann.
«Am 24. Dezember ist für mich der letzte Tag», kann «Nubbel» es nach 11
Jahren und 2 Monaten als Wirt selbst noch nicht fassen. Dann kehrt er zurück
auf die andere Seite der Theke, vor der er bis 1991 im «Toulouse» von dessen
Anfängen an gesessen hat - und muss sich wohl auch eine andere Gaststätte
suchen.
Denn ein Nachfolger als Pächter ist nicht in Sicht. «Aber ich würde gerne
einen finden», sagt Verpächterin Sigrun Wimmer, die selbst als Schülerin
hier verkehrt hat. «Mir liegt das Lokal auch sehr am Herzen», ist sie
weiterhin auf der Suche nach einer Persönlichkeit, die die Geschichte des
«Toulouse» weiterschreiben kann.
1965 hatte Said Quahab gemeinsam mit Jimmy Casanato das Lokal gegründet.
Said war 1961 nach Stolberg gekommen und hatte gemeinsam mit Jimmy von Aldo
Linardi das «Roma» übernommen, bevor sie 1965 das neue Projekt an der
Jordanstraße anpackten, das schnell zum Insider-Treff avancierte.
Mitte der 70er Jahre übernahm Aldo Linardi das «Toulouse», später führte er
es gemeinsam mit Said Quahab, der es wieder einige Jahre später allein
führte.
1991 folgte Bernd Wetten als Wirt, und feierte das 30-jährige Bestehen noch
mit einem großen Fest auf der Wiese Frankental.
Bei all den schönen Erinnerungen möchten sie denn auch nicht in die Zukunft
schauen. «Nubbel», Said und auch Elisabeth Gülpen sind ganz traurig bei dem
Gedanken, dass ihr zweites Zuhause nicht mehr sein wird.
«Ich werde wohl ganz Hausfrau werden», kann sich Elisabeth das ebenso wenig
wie Bernd Wetten, Said Quahab und viele Andere vorstellen, dass es das
«Toulouse» nicht mehr geben soll.
Heiligabend wird in diesem Jahr für viele kein Freudentag sein.
Aachener Zeitung Online, 05.12.2002